Interviews

#MutuallyMann: Eine transatlantische Lektüre Thomas Manns

Vor zwei Jahren wurde im ehemaligen Wohnhaus Thomas Manns in Kalifornien ein Zentrum des transatlantischen Dialogs eröffnet. Nun startet das Haus eine Lektüre-Initiative. Wir sprechen mit Nikolai Blaumer, dem Leiter des Thomas Mann House.

Foto von aufgeschlagenem Buch bei "Mario and the Magician" und Notizheft im Hintergrund
© Hundertvierzehn.de

Herr Blaumer, vor zwei Jahren wurde das Thomas Mann House in Pacific Palisades als Ort des transatlantischen Dialogs eröffnet. Wie kam es dazu?

Das Haus, das die Familie Mann erbaut und in dem sie den größten Teil ihrer Zeit im amerikanischen Exil verbracht hat, stand 2016 zum Verkauf. Ohne Status als „Historical Landmark“ und in einem stark erhitzten Immobilienmarkt war die „San Remi“, wie Thomas Mann das Haus liebevoll nannte, vom Abriss bedroht. Der damalige Außenminister Frank-Walter Steinmeier, die Kulturstaatsministerin und einige bedeutende Intellektuellen haben sich damals für eine Rettung des Hauses eingesetzt. Nach Erwerb durch die Bundesregierung wurde es mit Tempo zu einem Residenzhaus umgebaut und im Juni 2018 eröffnet.

Wie würden Sie aus Ihrer Sicht die Aufgabe des Thomas Mann House beschreiben?

Während ihrer Exilzeit haben Thomas und Katia Mann ihr Haus zu einem Zufluchtsort werden lassen, an dem sich Lion Feuchtwanger, Theodor Adorno, Max Horkheimer, Franz Werfel und Alma Mahler-Werfel, Hanns Eisler, Arnold Schönberg und andere trafen und diskutierten. Trotz der Schwierigkeiten jener Zeit hatten viele der Exilanten in Los Angeles eine überaus produktive Zeit. Dieses Erbe soll heute mit den Thomas Mann Fellows und amerikanischen Gästen fortgeführt werden. Es geht um einen transatlantischen Austausch zu drängenden Herausforderungen unserer Zeit. Diese Mission verfolgen wir nicht ausschließlich im Haus, sondern oftmals bei amerikanischen und deutschen Partnerinstitutionen – oder in digitalen Medien. 

Sie haben zusammen mit dem S. Fischer Verlag die Initiative #MutuallyMann angeregt. Was verbirgt sich dahinter?

Idee ist es, über soziale Medien ein gemeinsames Leseerlebnis und eine Gelegenheit für Austausch in Zeiten von Social Distancing und Quarantäne zu schaffen. Wir laden dazu ein, in einer Woche Thomas Manns Novelle „Mario und der Zauberer“ zu lesen und sich dazu auf Twitter, Instagram, Facebook und auf dem gemeinsamen Blog mutuallymann.vatmh.org auszutauschen. Das kann in Form von kurzen Statements, Fragen, Unterstreichungen, historischen Bildern, Zitaten, Kurzvideos oder ähnlichem passieren.

Im Zentrum steht Thomas Manns Erzählung „Mario und der Zauberer“. Warum gerade dieser Text?

Die Novelle „Mario und der Zauberer“ ist ja schon vor der Exilzeit Thomas Manns entstanden. Anstoß waren schockierende Eindrücke, die Mann während eines Urlaubs im faschistischen Italien sammelte. Auch in Deutschland änderte sich damals rasch der „nationale Gemütszustand“, wie Thomas Mann es nannte. In Deutschland, aber auch in Amerika, sind heute Parallelen erkennbar. Der Text scheint uns ein guter Ausgangspunkt für weiterführende politische Gespräche. Auch könnte er ein passender Start sein, um sich späteren Werken Thomas Manns zuzuwenden.  

Kann sich jede interessierte Leserin, jeder Leser an den Diskussionen beteiligen?

Ja, selbstverständlich!

Wie werden die Diskussionen organisiert? Gibt es eine Art Gesprächsleitung?

Wir haben eine interessante Gruppe von Autorinnen und Autoren, die die Initiative begleiten werden, darunter etwa den Literaturprofessor Adrian Daub (Stanford), die Germanistin Veronika Fuechtner (Dartmouth), den Musikkritiker Alex Ross (The New Yorker), die Autorin Donna Rifkind oder Andreas Platthaus, ehemaliger Fellow am Thomas Mann House und Leiter des Literaturressorts bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 

Was erhoffen Sie sich von einer transatlantischen Lektüre Thomas Manns?

Meine persönliche Hoffnung ist, dass die heutige Relevanz von Thomas Manns Werken und seinem politischen Wirken in Amerika wie Deutschland sichtbar wird und dass die Lektüre Menschen aus der Isolation zusammenbringt. Im besten Falle werden auf digitalem Wege neue Kontakte und Bekanntschaften geschlossen, die zu persönlichen werden können, wenn die Corona-Krise vorbei ist.

Könnten Sie sich vorstellen, dass dieser virtuelle Lesezirkel mit anderen Texten fortgesetzt wird?

#MutuallyMann darf fürs erste Mal ein kleines Experiment sein. Wir sind aber jetzt schon begeistert vom Echo in den sozialen Medien und der guten Zusammenarbeit, nicht nur mit dem S. Fischer Verlag, sondern auch mit den Goethe-Instituten in Nordamerika, der University of Southern California, dem Buddenbrookhaus, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach, dem Thomas Mann Archiv in Zürich und anderen Partnern, die sich spontan beteiligen. Es wird also hoffentlich nicht die letzte Episode sein!

Join #MutuallyMann: https://mutuallymann.vatmh.org/

Das Gespräch führte Roland Spahr.

Nikolai Blaumer

Nikolai Blaumer

Nikolai Blaumer, 1983 in Düsseldorf geboren, studierte an der LMU München und der Hebräischen Universität Jerusalem, er wurde mit der Arbeit »Korrektive Gerechtigkeit. Über die Entschädigung historischen Unrechts« (Campus Verlag, 2015) im Fachbereich Philosophie der Universität München promoviert. Nach Lehrtätigkeiten an der LMU München und der Bauhaus Universität Weimar war Nikolai Blaumer ab 2014 als Referent der Abteilung Kultur des Goethe-Instituts beschäftigt. 2018 übernahm er, entsandt vom Goethe-Institut, die Programmdirektion am Thomas Mann House in Pacific Palisades, Kalifornien. Nikolai Blaumer ist Mitherausgeber des Bandes »Teilen und Tauschen« (S. Fischer, 2017).