Interviews

Im Gespräch mit Monika Maron

In Monika Marons Roman »Artur Lanz« steht ein Mann im Mittelpunkt und mit ihm die Rolle der Männer und des Heldenmuts in unserer Gesellschaft schlechthin.

Monika Maron im Gespräch
© Jonas Maron

Frau Maron, Ihr neuer Roman trägt den Namen »Artur Lanz«. Mit wem haben wir es zu tun?
Artur Lanz ist ein Mann von etwa fünfzig Jahren, dessen Mutter in der Jugend ein Buch über König Artus und seine Ritterrunde in die Hände gefallen war und die in sentimentaler Schwärmerei ihrem Sohn darum den Namen Artur gegeben hat, der Nachname Lanz steht für Lancelot, den kühnsten Ritter der Artusrunde. Und dieser Artur Lanz, der gar nicht zum Helden geboren ist, erlebt mit fünfzig Jahren etwas, das ihn aus Liebe fast zum Helden macht. Jedenfalls bringt er sich selbst in Gefahr, um etwas fast Unmögliches zu tun. Er schafft das Unmögliche und empfindet danach ein Glück, das er nicht kannte und das er wiederfinden will.

 

Er entdeckt also eine Art Sehnsucht nach einer mutigen und kämpferischen Tat. Was will er sich damit beweisen? 
Eigentlich will er sich nichts beweisen. Er will das Glück wieder empfinden, das ihm seine selbstlose Tat beschert hat. Er hat bis dahin ein vollkommen normales Leben geführt, das ihm nichts Heldenhaftes abverlangt hat. Wahrscheinlich war er auch zufrieden, aber dieses tiefe Glück hat er nur einmal gekannt, als er eine außergewöhnliche Liebe hatte. Aber die hat er mutlos aufgegeben.

 

Charlotte Winter, eine pensionierte Lektorin und Gelegenheitsautorin, lernt Artur Lanz zufällig kennen und setzt sich mit seiner Krise auseinander. Was interessiert sie an ihm besonders
Zunächst wird sie nur auf ihn aufmerksam, weil er, ein offenbar gut situierter Mann, Tag für Tag auf einem unschönen Platz sitzt, auf dem sich sonst nur die ortsansässigen Säufer und Hundebesitzer treffen. Er wirkt auf sie depressiv oder krank, vielleicht sogar ein bisschen verwirrt. Charlotte Winter ist ohnehin auf der Suche nach einer Geschichte. Außerdem beschäftigt sie der Zustand der Männer im Allgemeinen,  besonders aber der Männer der nachfolgenden Generationen, die sie grundsätzlich für verunsichert hält. Sie haben ihre alte Rolle verloren, eine neue aber noch nicht gefunden.

 

Ist die Lebenskrise, in der sich Artur Lanz befindet, eine Krise der Männlichkeit?
Auf jeden Fall hat sich die Rolle der Männer in der Gesellschaft und gegenüber den Frauen grundsätzlich verändert, was nur zu begrüßen ist. Dass dabei aber die vorwiegend männlich konnotierten Eigenschaften wie Mut, Entschlossenheit, Durchsetzungskraft und Heldenmut gleich mit degradiert werden, ist bedauerlich. Statt sie zu diskreditieren, sollten die Frauen sie besser für sich selbst erobern. Krisenhaft erscheint mir allerdings das ideologische Bemühen einiger Aktivisten und Gendertheoretikerinnen, die Geschlechter überhaupt abzuschaffen oder für gar nicht existent zu erklären. Abgesehen davon, dass die meisten Menschen genau wissen, ob sie männlich oder weiblich sind, hielte ich es auch für einen Verlust, wenn die Verschiedenheit und Anziehungskraft von Männern und Frauen in einem chamäleonartigen Allerlei verloren ginge.


 

Beim Nachdenken über Heldenfiguren beschäftigt sich Charlotte Winter u.a. mit Lancelot und Ernst Toller. Welche Parallelen findet sie da?
Nur sehr allgemeine. Beide wollen die Welt, in der sie leben, verbessern. Beide setzen dabei ihr Leben aufs Spiel. Am Ende bringt sich Ernst Toller um, und Lancelot wird zu einem frommen Büßer. Ernst Toller scheitert und Lancelot bereut, nicht nur die verbotene Liebe zur Frau seines Königs, sondern auch seine Taten.

 

Eine Figur in Ihrem Roman äußert den Satz: »Bei Helden denke ich sofort an Krieg.« Da hat sie doch recht, nicht wahr?
Warum? Sie könnte auch an die Helden denken, die wir alle als erste kennengelernt haben, die Helden der Märchen, zum Beispiel an den Prinzen, der unter Gefahr für sein eigenes Leben Dornröschen rettete. Oder an Martin Luther King, der für seinen Traum gekämpft hat und darum ermordet wurde. Oder an die Geschwister Scholl. Oder an die Feuerwehrleute vom 11. September in New York, die umgekommen sind, weil sie andere Menschen gerettet haben. Aber natürlich: Ein Krieg braucht Helden, ein Krieg ohne Helden wird verloren. Wenn es ein gerechter Krieg ist, werden die Helden geehrt. Ist es ein Aggressionskrieg, bleiben sie als Verbrecher in Erinnerung. Aber auch in einem ungerechten Krieg ist ein Mann, der seinen Kameraden unter Einsatz seines eigenen Lebens rettet, ein besonders mutiger und ehrenhafter Mensch, der vermutlich auch nicht freiwillig in diesen Krieg gezogen ist.

 

Ist es in Anbetracht der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht folgerichtig, dass Heldentum hierzulande negativ besetzt ist?
So lässt es sich erklären, aber folgerichtig ist es nicht. Im Gegenteil. Es braucht Mut, manchmal sogar Heldenmut, um zu verhindern, dass diktatorische und gewalttätige Kräfte wieder an die Macht kommen. Wenn eine Diktatur erst einmal herrscht, ist es zu spät. Die meisten Menschen reagieren auf gesellschaftliche Veränderungen erst, wenn sie persönlich betroffen sind. Es kommt also auf den Einzelnen an, der sich entgegenstellt. Ein Held ist immer ein Einzelner. Bei Fontane nennt der Pastor Lorenzen den Mut der Masse »Herdenmut«. Wer den Helden an sich verdächtigt, muss eigentlich auch den Mut verdächtigen, einer falschen Sache zu dienen. Ob jemand ein Held oder ein Mörder ist, liegt im Auge des Betrachters. Auch der IS feiert seine Mörder als Helden. Aber gerade weil es diese Helden des Bösen gibt, ist es geradezu selbstmörderisch, sich der eigenen Heldenlosigkeit zu rühmen oder sie nur noch in dem Bereich von Suppenküchen und Altenpflege als Helden des Alltags zuzulassen. Und wie der Erfolg von Filmen und Serien beweist, in denen es von Helden wimmelt, ist auch die Sehnsucht nach Helden ungebrochen, als ahnten die Menschen, dass man dauerhaft nicht auf sie verzichten kann. Mich jedenfalls hat die Theorie von unserer »postheroischen Gesellschaft« in einer zunehmend kriegerischen Welt inspiriert, über das Thema Helden und Heldenmut nachzudenken.

 

Das Gespräch führte Roland Spahr

Monika Maron ist 1941 in Berlin geboren, wuchs in der DDR auf, übersiedelte 1988 in die Bundesrepublik und lebt seit 1993 wieder in Berlin. Sie veröffentlichte zahlreiche Romane, darunter »Flugasche«, »Animal triste«, »Endmoränen«, »Ach Glück« und »Zwischenspiel«, außerdem mehrere Essaybände, darunter »Krähengekrächz«, und die Reportage »Bitterfelder Bogen«. Zuletzt erschienen die ...

Zur Autorin